über die richtige Taktik beim Elfmeterschießen

oder: doppelte Kontingenz

Die Schussgeschwindigkeit von etwa 100 km/h und die Größe des Tors (Breite 7,32 m, Höhe 2,44 m) machen jeden Elfmeterstoß zum Glücksspiel. Der Ball benötigt vom Elfmeterpunkt weniger als eine ½ Sekunde bis zur Torlinie. Der Tormann muss sich also für eine Ecke entscheiden, noch bevor der Fuß des Schützen den Ball berührt.

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Dennoch versuchen sowohl der Schütze als auch der Tormann sich strategisch richtig zu verhalten.

Wie auch in anderen Sportarten bauen Fußball-Trainer und Betreuer ihre Strategien u.a. auf einer Flut gesammelter Daten auf – dazu gehören natürlich auch statistische Werte über die Schussgewohnheiten von Elfmeterschützen.

Der deutsche Keeper Jens Lehmann soll im WM-Viertelfinale 2006 sogar einen Spickzettel mit den Gewohnheiten der argentinischen Schützen gehabt haben.

So einfach ist die Sache aber nun doch nicht – schließlich kann es immer anders kommen: Nicht nur Lehmann weiß, welche Ecke Rodriguez bevorzugt – auch Rodriguez weiß dass Lehmann das weiß – und entscheidet sich für die andere Ecke. Das vermutet wiederum – auch nicht blöd – der Tormann, was zu einem unauflösbaren Vermutungs-Patt führt.

Die hier beschriebene Interaktion, das Zusammenprallen von Erwartungen, die gegenseitig aufeinander aufbauen, findet sich nicht nur am Elfmeterpunkt sondern in vielen sozialen Kontexten wieder. Es ist ein Grundproblem der Kommunikation, das als „doppelte Kontingenz“ bezeichnet wird.

Kontingent ist etwas, das so wie es ist sein kann, aber auch anders möglich ist. Notwendigkeit und Unmöglichkeit werden ausgeschlossen, der Begriff der Kontingenz bezeichnet also Gegebenes: Erfahrenes, Erwartetes, Gedachtes, usw. im Hinblick auf mögliches Anderssein (N. Luhmann, Soziale Systeme).

Was ist nun doppelte Kontingenz?

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass kein Handeln zustande kommen kann, wenn A (zB. unser Elfmeterschütze) sein Handeln davon abhängig macht, wie B (in unserem Fall der Torwart) handelt – und umgekehrt. Es entsteht zirkuläre Selbstreferenz. A muss sich also aus der Ungewissheit heraus entscheiden (was wiederum die Grundlage jeder Entscheidung ist, da sie ja sonst keine Entscheidung wäre. Der Kybernetiker Heinz von Foerster dazu: „Nur die Fragen, die prinzipiell unentscheidbar sind, können wir entscheiden“ ).

Soziale Systeme konstitutionieren sich auf der Basis doppelter Kontingenz. Kommunikation (als konstruktives Grundelement sozialer Systeme) findet grundsätzlich auf diesem Glatteis statt, es gibt kein Entrinnen.
Jede Kommunikation steht auf dem Prüfstand von Erwartungs-Erwartungen, auf der Unsicherheit über die Möglichkeiten und Erwartungen des Gegenüber. Das Universalmedium, in dem das alles stattfindet, ist Sinn.

Sinn liefert uns den Verweisungshorizont des „Anders-Möglich-Seins“, Sinn eröffnet weitere Möglichkeiten. Gleichzeitig markiert Sinn aber auch die Grenze des Systems, d.h. Sinn hilft den Möglichkeitsüberschuss einzuschränken und erleichtert dadurch den Anschluss weiterer Operationen (die ihrerseits wiederum Möglichkeitsüberschuss erzeugen!)

Beim WM-Viertelfinale 2006 hat Rodriguez übrigens seinen Elfmeter erfolgreich hinter die Linie gebracht – aufgestiegen ist trotzdem Deutschland, denn Torhüter Lehmann hat zwei Elfmeter der Argentinier (Ayala, Cambiasso) gehalten.

Darum sei an dieser Stelle auch an die Worte des englischen Stürmers Gary Lineker erinnert, der einmal sagte:
„Soccer is a game for 22 people that run around, play the ball, and one referee who makes a slew of mistakes – and in the end Germany always wins“.

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