Form und Sinn

Die Form der Unterscheidung

 

ersteseiteWe take as given the idea of distinction and the idea of indication, and that we cannot make an indication without drawing a distinction. We take, therefore, the form of distinction for the form – Mit diesen Worten beginnt das erste Kapitel des Formenkalküls (Laws of Form, 1968) des englischen Logikers und Mathematikers George Spencer Brown.

Er geht in seinem Kalkül von der Annahme aus, dass alles was in Erscheinung tritt, in einem anfänglichen Akt der Unterscheidung/Entscheidung/Trennung entsteht. Für diesen Akt der Trennung bestimmt er den Begriff der „Form“.

Draw a distinction – „ziehe/zeichne/triff eine Unterscheidung“ – Spencer-Brown lädt uns in der Folge ein, etwas zu bezeichnen, zu markieren, von allem anderen zu unterscheiden.
Zur Markierung dieser Trennung benutzt Spencer-Brown ein Zeichen, das er mark of distinction nennt: Dieser Haken, der das einzige verwendete Symbol seiner Abhandlung bleibt, bezeichnet den markierten Zustand.

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Der unmarkierte Bereich außerhalb des Hakens, von dem sich das Markierte unterscheidet entzieht sich unserer Aufmerksamkeit. Unsere Bezeichnung wird zur Entscheidung.

Die Entscheidung trennt den Raum der Möglichkeiten und reduziert dadurch Komplexität. Eine Entscheidung aus einer unendlichen Menge anderer Alternativen ermöglicht weitere Entscheidungen auf Basis reduzierter Komplexität.

Jede Bezeichnung ist eine Operation, die eine Unterscheidung voraussetzt. Die Form einer Unterscheidung ist also Form. Durch Sinn als Trägermedium unserer Entscheidung wurde Anschlussfähigkeit erzeugt.
Doch erst durch die Beobachtung zweiter Ordnung, die „Entdeckung der Außenseite“ des Markierten (durch Miteinbeziehung der Betrachtungsweise des Beobachters) wird die „Form“ wirklich sichtbar. Durch die Bezeichnung der Außenseite wird die ursprüngliche Unterscheidung in ihrem Kontext sichtbar. Plötzlich wird klar, in welchem Zusammenhang Aussagen und weitere Unterscheidungen stehen, die an die anfängliche Bezeichnung anschließen.
Sinn ist das Universalmedium sozialer Systeme, das ihre Operationen, die Kommunikation, anschlussfähig macht. Sinn hat dabei nichts mit Bedeutung zu tun sondern verweist auf weitere Möglichkeiten der Kommunikation. Sinn ist selbstreferentiell, verweist immer wieder nur auf Sinn. Die Form gibt dem System einen Rahmen, bezeichnet es und schließt es operativ ab – Sinn macht das System überlebensfähig, ist das Medium seiner Operationen.
Sinn als Medium macht unsere Kommunikation anschlussfähig, d.h. ermöglicht den Selektionen sich aufeinander zu beziehen. Sinn eröffnet weitere Möglichkeiten. Gleichzeitig markiert Sinn dadurch die Grenze des Systems. „Sinn ist laufendes Aktualisieren von Möglichkeiten“ (Luhmann, 1984, S.100), also ein Prozess.
Sinn stellt der Form die Struktur zur Verfügung. Sinn hilft den Möglichkeitsüberschuss einzuschränken und erleichtert dadurch den Anschluss weiterer Operationen (Kommunikationen, d.h. Entscheidungen) die wiederum Sinn, und damit Möglichkeitsüberschuss, erzeugen. Luhmann (ebd. S. 112) bezeichnet Sinn als die „Grunddifferenz zwischen Aktualität und Möglichkeitshorizont, die es ermöglicht […] zu typisieren, zu schematisieren und der dann folgenden Aktualisierung Informationswert abzugewinnen“.

Form und Sinn (als Medium) sind unzertrennlich. Jede Unter-/Entscheidung prozessiert Sinn als Unterscheidung von „Aktuell Gegebenem und auf Grund dieser Gegebenheit Möglichem“ (ebd. S. 111). Rudolf Wimmer’s „Beratung im dritten Modus“ basiert u.a. auf diesem Theoriekomplex.